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Offener Brief: Herr Dorgerloh!! Nein! So nicht!

Sehr geehrter Herr Minister

Mit Interesse haben wir Ihre Ausführungen in der Debatte bezüglich Gestaltung der Schullandschaft in Sachsen-Anhalt verfolgt und sind überrascht, aber auch erbost über die Art und Weise, wie Sie die Dinge darlegen. Wir erlauben uns, auf verschiedene unstimmige Punkte hinzuweisen:

Dialoge im Land: Wir halten fest, dass an diesen Zusammenkünften im Wesentlichen SEPL-VO2014 kommuniziert und als unverrückbar dargestellt wurde. Es handelte sich hierbei also um eine Einwegkommunikation, welche die Autoritäten vor Ort hätte stützen sollen, was ja auch passiert. Ziel war aber NICHT Dialog, sondern Durchsetzung einer äußerst problematischen Verordnung. Dialog setzt voraus, dass man seinem Gegenüber auf Augenhöhe begegnet und zu Veränderungen bereit ist. Dazu kam es nicht.

Demographischer Wandel: "Fact ist, der demographische Wandel schreitet voran......  wird eine Abnahme der Geburtenzahlen erwartet, von derzeit 17 000  auf 15 000 im Jahr 2015, ...auf ca. 12 000 im Jahr 2020 und auf ca. 9300 im Jahr 2025. ......Reagiert man erst 2020, besteht die berechtigte Sorge, dass die Einschnitte in das Schulnetz wesentlich abrupter wären und die politisch handelnden noch stärker unter Druck geraten".
a) Wir mussten feststellen, dass bezüglich Prognostik der Geburtenzahlen teilweise eine Software verwendet wird, welche die Geburtenprognosen auf dem Begriff "Jugend" errechnet. Das heißt: Grundlage ist die Altersgruppe 0-27, womit alle möglichen Geburten von Frauen ab 28 Jahren überhaupt nicht mehr gerechnet werden. Wir möchten dazu eine Auskunft!
b) Es ist unbestritten, dass die Schülerzahlen abnehmen werden. Um so unverständlicher finden wir die Tatsache, dass mit dem Festhalten am Jahrgangsklassensystem und der Schließung von ortsnahen Grundschulen dieser Trend im ländlichen Bereich beschleunigt wird. Gefragt sind neue Formen der Schulorganisation, klein und flexibel, Grundschulbildung vor Ort. Genau das wird mit SEPL-VO2014 verhindert.

"Reformstau durch Ausnahmeregelungen": Erneut vergleichen Sie Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern mit der Anzahl "kleiner Grundschulen". Außen vor lassen Sie Zahlen wie Bevölkerungsdichte/km2, durchschnittliche Schulkreisgrösse usw. Dann würden Sie feststellen, dass wir uns in diesem komplexeren Vergleich in verschiedenen Regionen bereits einer Unterversorgung nähern, welche nun durch SEPL-VO 2014 vollzogen wird.
Ebenso nehmen wir zur Kenntnis: Ihr Ministerium sieht Schuleinheiten NUR im Jahrgangsklassensystem und empfindet die kleinen ländlichen Schulen als lästiges Anhängsel, "Reformstau", nennen Sie das. Nun sollen diese Ausnahmeregelungen und damit die Schulen aufgehoben werden.
Ihr Vergleich mit den andern Bundesländern hat einen weiteren Mangel: Sie vergleichen unser Bundesland mit einer Grundschullandschaft, welche von der OECD seit Jahren immer wieder kritisiert wird. Zu wenig Innovation im primären Bereich mit der Folge, dass die Kosten im sekundären und tertiären Bereich enorm steigen. Da ist Deutschland dann in der Spitzengruppe.

Schüler-Lehrerrelation: Wir bestreiten Ihre Aussage, wonach an den Grundschulen eine Schüler-Lehrerrelation von 1:12 besteht. Hier werden Bereiche wie Förderschulen und Angestellte, aber nicht im Schuldienst tätige Lehrkräfte, mitgerechnet. Wir bewegen uns doch heute schon auf einer Schüler-Lehrer-Relation von 13,6!!! (Personalstandsbericht 2012, S. 86) Laut Bildungsbericht 2010 S.52, sogar auf einer Relation von 15.71 Schülern/Lehrkraft..

"Ausnahmemöglichkeiten":
  • Befristete Zulassung von Aussenstellen: Bedeutet de facto Schließung der Schule. Aus unserer Sicht ist das keine Ausnahmemöglichkeit, sondern lineare Umsetzung der SPL-VO2014, einfach etwas verzögert, weil das neue Schulzentrum noch nicht steht... Wir würden das  "Provisorium" nennen..
  • Erreichbarkeit innerhalb zumutbarer Schulwegzeiten: Wir bitten Sie, dieses Argument nicht mehr zu verwenden, es verdreht die Realitäten: Verschiedenste Schulkreise haben im Vorfeld der Schulplanung begonnen, Schulwegzeiten von Kindern auf bis zu "zumutbare 75 Minuten pro Schulweg" zu erhöhen, um SEPL-VO2014 überhaupt in Angriff nehmen zu können. 2 1/2 Stunden Schulweg pro Tag!! Es ist also eine Geschmacklosigkeit gegenüber Eltern und  Kindern, wenn hier von Ausnahmemöglichkeiten gesprochen wird, zumal in der Verordnung NICHTS DERARTIGES steht. Im Weiteren: Geben Sie uns bitte einen Hinweis, welche Schulwegzeiten unter "allgemeiner Rechtssprechung" als Norm zu verstehen sind. Dann werden Sie uns an die Landkreise verweisen... DESWEGEN bitten wir Sie,  dieses Argument  zurückzunehmen..
  • "All das ist möglich und wenn Anträge hier dies entsprechend untersetzen, dann wird das auch bei uns ordentlich geprüft". Wir halten fest: Es gibt also keine Ausnahmen, es werden auch keine Ausnahmen geprüft, denn SEPL-VO2014 sieht keine dauerhaften Ausnahmebestimmungen vor. Soviel zu Ihren "Ausnahmemöglichkeiten".
Somit drehen wir uns weiter im Kreis: Sachsen-Anhalt stellt sich, entgegen dem weitläufigen Trend, auf den Standpunkt, Schule habe in Schulzentren mit mindestens 80 Kindern stattzufinden und kleinere Schulen seien weder wirtschaftlich noch bezüglich Einsatz des Personals effizient.

Stellt ein Landkreis dies in Frage, kriegt er von Ihrem Staatssekretär eine ähnliche Antwort, versehen mit einer Schlussbemerkung, welche hier zu zitieren ist und dann schauen Sie vielleicht mal, wie es sich mit ernsthaften Prüfungen in Ihrem Ministerium und dem, was Sie Dialog nennen, wirklich verhält.


Nicht erwähnt, Herr Minister, haben Sie Ihre Vorstellungen, wie mit dem heikelsten Punkt von SEPL-VO2014 im ländlichen Bereich umzugehen sei: 

§4
1. Richtwert zur Festlegung der Einzügigkeit beträgt
a) Bei Grundschulen
aa) zum 31.Juli 2017                                          15   
bb) ab dem 1. August 2017                                20  


(Für einige wenige dünn besiedelte Gebiete betragen die Zahlen 12 bis 2017 und anschließend 15 Kinder pro Einschulungsklasse. Anmerkung Aktionsbündnis)

Weitere Ausnahmen sind  in der Verordnung NICHT vorgesehen und die gegenwärtige Praxis bestätigt, dass Schulen, welche kurzfristig diese Zahl NICHT erreichen, keine Bewilligung zur Führung der Klasse erhalten, damit unter die Mindestschülerzahlen fallen und auf die Schließungsliste gelangen, auch wenn mittelfristig genügend Schüler da wären. Dieser Teil der Verordnung wird mittelfristig dazu führen, dass noch deutlich mehr Schulstandorte mit Schulschließungen konfrontiert sein werden.

Aus diesem Paragraphen leitet sich offenbar die Differenz der im Januar angekündigten Schulschließungen von "bis zu 150" (Finanzministerium) und "etwa 60" (Kultusministerium) Grundschulen ab. 

Aktionsbündnis Grundschulen vor Ort Sachsen-Anhalt lehnt SEPL-VO2014 als Ganzes ab, da für den ländlichen Bereich nicht tauglich und mittelfristig für das Land Sachsen-Anhalt von großem Nachteil. Wir sind inzwischen neben Niedersachsen das einzige Flächenland der Bundesrepublik, welches starr am Jahrgangsklassensystem festhält und sich der jahrgangsdurchmischten Unterrichtsform an ländlichen Grundschulen konsequent verweigert. Dabei hätte diese de facto unter dem Strich für das Ministerium denselben Spareffekt !.

Ablehnung der gesamten SEPL-VO2014 !!!
Auf diesen Überlegungen gründet unser Aufruf an lokale und regionale Behörden, SEPL-VO2014  per Beschluss abzulehnen und die Landesregierung aufzufordern, unverzüglich eine Überarbeitung in Angriff zu nehmen, welche die Bedürfnisse der ortsnahen Beschulung im ländlichen Bereich garantiert. Wir meinen, für die Zukunft Sachsen-Anhalts steht in dieser Thematik sehr viel auf dem Spiel, weshalb dieser Schritt gerechtfertigt ist. Zeit besteht genug, da ja weitere Förderbescheide erst 2014/15 erwartet werden, wie Sie anlässlich einer einfachen Anfrage im Landtag erklärt hat...., derzeit also Schulen "präventiv" geschlossen werden und theoretisch neue Schulzentren geplant sind, deren Finanzierung noch gar nicht steht... 
Wir wünschen, dass dieses Zeitfenster von der Landesregierung genutzt wird, um die Schulplanungsverordnung den Gegebenheiten im ländlichen Raume anzupassen und sich dabei von Hunderten von Beispielen aus dem ländlichen Raum inspirieren zu lassen. Dazu ein letzter Hinweis in Form einer Grafik aus Österreich:

Mit freundlichen Grüssen

Grundschulen vor Ort
Aktionsbündnis Sachsen-Anhalt
http://schule-vor-ort-st.blogspot.de/

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